eine Sinngeschichte
Beide sind sie richtig; aber jeder einzelne, für sich gegangen, führt zu nichts.
Beide gegangen führen, wenn die Menschenseele sich im Kreuzungspunkte findet,
zu dem, was angestrebt wird.“ (Rudolf Steiner: GA 74, S. 48ff)
„Ein Tribunal wird kommen, früher oder später“, sagte Heinz zu Klaus, der neben diesem an der Theke von Rudis Eckkneipe stand. „Dann werden die Zensoren, Medienlügner, Systemlinge, Gutmenschen und Klatscher schauen wie ihnen geschieht.“, stimmte Klaus zu und lachte. (1)
Rudi, der den Dialog der Beiden mit verfolgt hatte, spürte wie die Anspannung und Unruhe in seinem Körper stieg. Ich darf nicht weiter schweigen, sagte er zu sich selbst. Wo mag dies alles hinführen? In den letzten Monaten hatte er beobachtet, wie der Hass auf Andersdenkende stieg; Gewaltfantasien sich an seiner Theke in Worte, und später in Handlungen verwandelten. Die Menschen hatten Furcht vor den Fremden. Sie sahen sich als Opfer und fühlten sich von Politik und Wirtschaft benachteiligt und verraten. Für die Ängste seiner Gäste zeigte Rudi zum Teil Verständnis. Nicht alles lief optimal in diesem Land. Doch sich wie Lemminge in den Abgrund zu stürzen, indem man den modernen Rattenfängern folgte, dafür fehlte ihm das Verständnis. All dies hatten wir doch schon einmal, dachte Rudi. Mechanisch spülte er die Gläser, um das in ihm aufsteigende Gefühl des Unbehagens zu verdrängen.
Charlie, hatte ihm vor Tagen eine Geschichte erzählt, an die sich Rudi erinnerte. Früher, und das ist gar nicht lange her, gab es unser Land noch nicht. Deutschland bestand aus mehreren hundert kleinen Staaten. Zwischen diesen Ländern herrschte häufig Krieg, deren Ziel die Ausweitung der Macht des Landesfürsten war. Der Fürst, von dem Charlie erzählte, befand sich in einem jahrelang anhaltenden Krieg mit dem Nachbarstaat. Die militärische Lage war äußerst angespannt, ein drohender Verlust kaum abzuwenden. In seiner Not wandte sich der Fürst an den Hofnarren, der ihm schon viele hilfreiche Ratschläge gegeben hatte. „Dies wird vorübergehen“, war alles, was der Narr ihm zu sagen hatte. Und tatsächlich, wie durch ein Wunder gewann das Heer des Fürsten die Kontrolle über den Kampf und beendete den Krieg in einer erfolgreichen Schlacht. Der Landesfürst war berauscht von diesem Sieg. Endlich war es ihm möglich, die Ländereien des unterlegenen Landes dem eigenen Besitz zuzuschlagen. Unendliche Macht und Ruhm schienen ihm gewiss. Niemand mehr würde seine kriegerischen Fähigkeiten anzweifeln; spätere Generationen diese Tat besingen. Die Ratgeber und Minister des unterlegenen Staates, könnten am Galgen ihre Handlungen bereuen, hierfür würde das anberaumte Tribunal sorgen. Der Narr, dessen Vorausschau zu dieser Wende geführt hatte, solle mit Gold aufgewogen werden, so die Anordnung des Fürsten. Als der Narr hiervon hörte, trat er an seinen Herren heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Auch dies wird vorübergehen“. (2)
An welchem Ort der Landesfürst gelebt, welchen Namen er getragen hatte, wusste Charlie nicht zu berichten. Zum Abschied hatte er Rudi zugerufen: „Jemand der nicht bereit ist aus der Geschichte zu lernen, wird diese wiederholen müssen“. (3)
Rudi wusste nicht, was Charlie ihm mit der Erzählung sagen wollte und warum sie ihm ausgerechnet heute Abend eingefallen war.
„Feierabend“, rief Rudi in den Raum. Er klappte die Bierhähne nach oben, kassierte und wünschte Klaus und Heinz eine gute Nacht. In sich trug er derweil den Konflikt der Furcht, die sich auf sein Herz legte und es eng werden ließ. Es war die Angst vor Ablehnung, welche dem unguten Gefühl der Bedrohung entgegenstand, die sich ihm so sichtbar in seinen Räumen offenbarte.
Morgen, dachte Rudi, Morgen werde ich Stellung beziehen.
(1) einem Facebook Post entnommen
(2) frei wiedergegeben nach einer Sufi Geschichte
(3) Im Orginal: „Those who cannot remember the past are condemned to repeat it", George Santayana, The Live of Reason, 1905